Frauen in und um Penzlin

Luise Mühlbach Henriette Sonntag Trine Schalubben Maria Moretto  
 

Das Talentungeheuer aus Neubrandenburg

(Betrachtungen über „Luise Mühlbach“, eine bemerkenswerte Chronistin der kleinen Stadt Penzlin)

Es ist anerkennenswert, daß sich wenigstens ein Penzliner, Günter Montkowski, der heute so gut wie unbekannten Luise Mühlbach erinnerte.
Doch sicher nicht nur Penzliner werden, aufmerksam gemacht durch den Untertitel eines Artikels im Anzeigenkurier:“ Penzlinerin schrieb ein Kapitel Literaturgeschichte mit“, im Text vergeblich nach näheren Angaben zum Penzliner Dasein der „einst gefeierten Literatin“ gesucht haben.
Ich halte es auch für gewagt, der kleinen Stadt Penzlin (sie hat heute weniger Einwohner in ihren Mauern als zu Zeiten der Luise Mühlbach - sieht man von den in letzter Zeit eingemeindeten Dörfern ringsum ab)  eine weitere Literaturgestalt anzulasten; hat das Städtchen doch schon Mühe, mit dem Erbe des großen Johann Heinrich Voß gebührend umzugehen.
Zwar kann er selbst, der größte Verehrer der „Frauen in der Literatur“ nicht umhin, zuzugeben, daß man Voß und die Mühlbach kaum vergleichen kann, aber immerhin: die Stadtväter würden wohl verzweifeln, hätten sie nun plötzlich für eine weitere „Berühmtheit“ sorge zu tragen.
Hat doch die „Mecklenburgische Literaturgesellschaft“ bei ihrem letzten Besuch in Penzlin mit einigem Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen müssen, daß J.H. Voß in seiner Heimatstadt keine rechte, würdige Bleibe findet. Zumal der Freigeist Voß sich in der Burg kaum wohlfühlen würde.
Und nun etwa noch die Mühlbach?
Ich höre schon die erschreckten Seufzer der Kämmerei und sehe die nachdenklichen Blicke eines fürsorglichen Bürgermeisters.
Aber gemach, gemach - liebe Punschendörper Oberen und Kulturgewaltigen - sehen wir uns doch erst einmal an, ob die Luise Mühlbach denn wirklich in Penzlin bedacht werden muß.
Natürlich ist es unbestritten, daß sie mit bekannten und verdienstvollen Penzlinern des 18. und 19. Jahrhunderts verwandt ist.
Wenn auch E. Danneil in seiner „Chronik der Burg und Stadt Penzlin von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1874“ am 10. September 1873 für den Preis von 15 Silbergroschen allerhand Wissenswertes bietet, so weiß er von Luise Mühlbach kaum zu berichten.
Heuer, anerkannter Ortschronist und Ehrenbürger der Stadt, erwähnt sie gleich gar nicht.
Doch Montkowski, ebenfalls um die Chronik der Stadt Penzlin bemüht, berichtet kurz von ihr.
Über die Zeit, in der sie in Penzlin gelebt hat, erfahren wir mehr von der Schriftstellerin selbst.

Luise Mühlbach, als Clara Müller am 2. Januar 1814 in Neu-Brandenburg geboren, war die Tochter des in Penzlin geborenen späteren Neu-Brandenburger 1. Bürgermeisters und Hofrates Friedrich Andreas Müller und dessen Ehefrau Friederike Strübing (1790 bis 1860), deren Vater Adolf Strübing Landsyndikus in Neu-Brandenburg war.
Clara Müller hatte zehn Geschwister.
Ihr Onkel Carl Müller war Stadtrichter und Hofrat in Neubrandenburg und ihr Großvater war der Praepositus und Pastor Christoph Ludwig Müller, der von 1780 bis 1816 in der Penzliner Marienkirche das Predigtamt versah und die kleine Kirche in Passentin 1794 geweiht hatte.
Ihr Urgroßvater Johann Christian Müller war zuvor Pastor in jener Marienkirche zu Penzlin gewesen, die wir heute wegen ihrer gedrungenen Gestalt im Stadtbild liebevoll „Die Glucke“ nennen.
Doch diese Abstammung war es gewiß nicht allein, die der kleinen Clara das Städtchen Penzlin so liebenswert machte. Wohl waren da die Penzliner Großmutter und der Medizinalrat Pfuhl mit seinen ebenfalls 11 Kindern und der stillen, gestrengen „häßlichen Tante Sophie“, die für alle ganz selbstlos sorgte und die er, dieses Penzliner Original, als Witwer geheiratet hatte, „damit die Ordnung im Hause bei den vielen Kindern gewahrt blieb“.
Übrigens war ein Großonkel von Medizinalrat Pfuhl - Pastorensohn aus Penzlin - nach Rom gewandert und dort zur katholischen Kirche übergetreten, hingerissen von der Schönheit St. Peters und der Feierlichkeit des Gottesdienstes in der Sixtinischen Kapelle.
Als er dann zum ersten Male beichtete und Absolution von allen Sünden erhielt, da soll er ganz zerknirscht gesagt haben:“ Nun  muß ich noch eine Sünde bekennen, was mir freilich sehr schwer wird.
Der gütige Beichtvater  sprach ihm Mut zu, und da bekannte er ganz demütig:“ Ich bin ein Mecklenburger aus Penzlin. Der Beichtvater zuckte mit den Achseln und erwiderte:“ Nun, es ist gerade keine Sünde, aber es ist eine Schande.
War das nun Selbstironie oder steckte dahinter gar die noch frische Erinnerung an den weit über die Stadtgrenzen hin bekannten und berüchtigten Penzliner Hexenkeller und die Hexenverbrennungen, bei denen die Kirche ja nicht gerade Ruhm und Ehre erworben hatte?
Ich glaube fast, daß auch bei dieser Legende der „Onkel Pfuhl“ die Hand mit im Spiel gehabt hat, wenngleich ein weiterer Verwandter der großen Familie Müller, der Forstmeister Paul Senff, ein Schwiegersohn des Herzoglichen Oberforstmeisters Wilhelm Knochenhauer und Verwandter von General Wilhelm Knochenhauer* gesagt hat:“ Ich kann mir schon denken, daß die vom Verkehr weit abliegenden kleinen Städte Mecklenburgs im vorigen Jahrhundert Idyllen waren, die einem für die Natur und Jagd Passionierten wohl vieles boten, nicht aber dem geistig regen Menschen. Dazu kam noch die Zurückgebliebenheit auf politischem Gebiet.
Das hatte wohl auch Bismarck den Anlaß für seinen Ausspruch gegeben:“ Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Mecklenburg; dort geht sie 50 Jahre später unter.
Doch Penzlin war nach Clara Müllers Worten ungleich mehr:“ Wenn ich zurückdenke an die glücklichen Tage meiner Kindheit, so ist es mir, als schaute ich in ein fernes, längst versunkenes Land; es war damals gleichsam von einer chinesischen Mauer umgeben, und doch wuchs und gedieh hinter diesen Mauern ein frisches, ursprüngliches und eigenthümliches Leben. Mecklenburg war noch fern ab von allem Verkehr, von jeder geistigen Zugehörigkeit, gleichsam abgetrennt von der ganzen übrigen Welt.
Keine Chausseen, keine Industrie, keine Ausfuhr seiner Produkte, ein mittelalterliches Dasein, eingefriedet in die Familie, in den Erwerb und Verkehr des Tages.

Nur Luft, Licht, nur Sonne hatten die guten Mecklenburger mit der ganzen Welt gemein.“
Und:“ Für uns Kinder hatte diese Abgeschiedenheit ihr Gutes und Schönes; wir gediehen körperlich und geistig, dabei in urwüchsiger Frische.“ (-)
„Darum bin ich auch der Meinung, daß man immer trachten soll, seinen Kindern soviel Lebensfreude als möglich ist, zu bereiten - und sie genießen zu lassen so viel Gutes, als man ihnen zu bieten vermag.

Doch mit der guten Bildung war es nicht so weit her. Eine Töchterschule gab es in Neubrandenburg nicht, und die Lehrer am Gymnasium verspürten wenig Lust und hielten es auch für unter ihrer Würde, Mädchen Privatunterricht zu geben. Ihr Vater aber merkte, daß das lebhafte Mädchen bei der Gouvernante, die den kleineren Geschwistern den Unterricht erteilte, nicht in den rechten Händen war und gab sie zur Großmutter nach Penzlin, wo zudem ein Prediger  neben seinen eigenen Töchtern auch sie unterrichten sollte.
Aber sie genoß bald das Leben auf ihre Art. Da sie wenig Lust verspürte, mit den Töchtern des Predigers Erhardt den langweiligen Unterricht zu dulden (saß doch der ehrenwerte Herr meist - tief in seine Klassiker versunken - am Katheder und vergaß die Schüler, die sich derweil mit Scotts Novellen, Platos Tischgesprächen und bei Schiller wie auch bei Goethe zerstreuten oder der Frau Predigerin in der Küche zur Hand gingen, machte sie sich meist selbständig und freundete sich mit Penzliner Handwerkern an, für deren Tätigkeit sie sich rasch begeisterte.
Als sie beiläufig dem Leineweber Kilian erklärte, daß der Prediger nun schon den zehnten Tag für sie keine Zeit habe, da meinte der kopfschüttelnd:“ Wenn he Di nix lihren will, denn will ik et dohn, un wenn Din Vatting noher kümmt un süht, dat de Paster  eben een Paster is, dat heet, dat he de Minschen Wind vörmoakt, denn kannst Du doch seggen, dat Du wat Anners lihrt häst.
Bald fand sie sich in der Werkstatt des Meisters Kilian ein und lernte den Flachs weben, den sie zuvor selbst „gebrakt“ hatte - und danach begeisterte sie sich am Können des Nagelschmiedes Freudenthal und ruhte nicht, ehe sie das Nagelschmieden begriffen hatte.
Großen Einfluß hatte auf sie ein Penzliner Original, der Bruder ihrer Großmutter, Onkel Pfuhl. Er war ein Mann großen Wissens und hoher Begabung, von hinreißender Liebenwürdigkeit und unerschütterlicher Heiterkeit.
Als Doktor zurückgekehrt aus Berlin, hatte er sich in der „Großen Hauptstraße“ der Stadt Penzlin (die eigentlich nur aus dieser mit einigen Nebengassen bestand) ein „Schloß“, wie die Einheimischen sagten, gebaut. Er lebte nach dem Spruche Caesars, wonach es besser ist, Erster in einer kleinen Stadt, denn Zweiter in einer größeren zu sein.
Er galt als hilfsbereit und freigiebig, doch gleichzeitig hatte er den Schalk im Nacken und verspottete seine Mitbürger gern ein bißchen. Von ihm stammt die bitter-spöttische Legende über Penzlin.
„Als der Versucher mit Christus auf dem Berge stand und auf die Welt und ihre Schönheit hindeutete, da hielt Satan die Hand so, daß der Schatten seines Daumens gerade auf die Stadt Penzlin hinfiel und sie im Dunkeln blieb; denn hätte Christus die Stadt im Hellen gesehen, so würde er gleich von
vornherein eine Welt verschmäht haben, in welcher sich ein so langweiliger und gottverlassener Ort befindet.

Penzlin hatte damals 2000, Neu-Brandenburg hingegen 6500 Einwohner.
So konnte es nicht ausbleiben, daß der Herr Hofrat nach einem Jahr nicht sehr erfreut war über den „Studienerfolg“ seiner Tochter.


Sie sagte über diese Penzliner Zeit der Ausbildung:“ Ja, wirklich, ich war genau in dem Falle der Fürsten, von denen Mirabeau sagt, daß sie nichts gelernt und nichts vergessen haben; ich hatte nichts gelernt an Kenntnissen und Gelehrsamkeit, und nichts vergessen von den Allotrias und Späßen, mit denen wir die zum Lernen bestimmte Zeit ausfüllten.
So kam sie zurück in die Vorderstadt Neu-Brandenburg, wie die Nebenresidenz damals hieß.
Doch aus ihrer Penzliner Zeit sind uns Eindrücke überliefert worden, die ein so lebensvolles und farbiges Bild dieser kleinen Handwerkerstadt zeichnen, daß die Luise Mühlbach allein darum auch eine Penzlinerin genannt werden muß.
Wer weiß heute noch von der „Dragonersch“? Das war ein früh gealtertes Weib, das in Penzlin manchem für eine Art „Hexe“ galt.
Hochaufgeschossen wie ein Rohr, war sie ohne Blüthe, ohne Blatt, farblos, eine der Gestalten, von denen gesagt wurde:“ Die gelbe Haut hing um sie herum wie ein schmutziges Hemd.“  Das war Trine Schalubben. Mit ihrer großen knochigen Gestalt schien sie wohl berechtigt, als Dragoner die Kriege gegen Napoleon mitzumachen. Und an der Seite ihres Gatten, den sie so leidenschaftlich liebte, daß sie seinetwegen hinauszog, hatte sie in den Befreiungskriegen gefochten.
Allein war sie heimgekehrt und lebte von einer kleinen Pension, die ihr der Großherzog ausgesetzt hatte. Sie trug das Eiserne Kreuz auf ihrem Kattunrock und ging stets mit weitausholenden Schritten und majestätischer Haltung einher. Doch ließ sie sich trotz ihrer Heldenwürde herab, für die Einwohner Strümpfe zu stricken. Sie sprach wenig und erzählte nie vom Kriege.

Wenn die von Luise Mühlbach so aufmerksam beschriebene Trine kein Original dieses Städtchens war, wer ist in Penzlin dann eins?
Vielleicht ist hier der Stoff für eine Novelle - ähnlich dem „Haunefieken“ bei Fritz Reuter.
Und wen es interessieren sollte, etwas über die Revolutionswirren in Mecklenburg und da speziell in Strelitz zu erfahren, der kann getrost bei Luise Mühlbach nachschlagen, und er wird dabei gleich auf andere, nicht weniger interessante Mecklenburger wie die „Gräfin Rossi“ oder Karl Kraepelin treffen.
Manches aus dem Alltag der Stadt ist bei der Schriftstellerin nachzulesen, und sie zeichnet ein liebevolles, so gar nicht verächtliches Bild aus einer Jugendzeit, von der wir alle aus unserer Erinnerung wissen, daß sie, verklärt zur unbeschwerten Kindheit, Nesseln zu Nelken werden ließ.
Zwar war ihr der Homer durch die abendlichen Vorlesungen der Tante Sophie beim blakenden Licht der tropfenden Wachskerzen „fürs Leben zuwider“, jedoch tat das ihrer Liebe zur Literatur keinen Abbruch. Hatte sie doch das Erlebnis, die „Räuber“ in Penzlin (!) aufgeführt zu sehen.
Was war dem jungen Menschen da schon die Umgebung?
Die Aufführung fand in Onkel Pfuhls Scheune vor dem Tore statt.
Und in dieser düsteren Scheune, bei der mangelhaften und vielleicht sogar komischen Darstellung der Räuber entzündete sich in meiner Seele doch ein Strahl der ewigen unauslöschlichen Poesie und erfüllte mein ganzes Wesen von jener Stunde an mit Begeisterung und Entzücken, mit frohem Muth, alles zu wagen, um alles zu gewinnen, das heißt, ein wenig Ruhm und einen kleinen Zweig von dem Lorbeer der Unsterblichkeit“.
Und er wurde ihr zuteil. Als der Berliner Kritiker und Schriftsteller Theodor Mundt sie 1839 (nicht 1836, wie Danneil und Montkowski schreiben) heiratete, da erkannte er sehr bald ihre Begabung für den historischen Roman, vermochte sie doch in beachtlicher Weise, geschichtliche Begebenheiten zu verwerten und besaß ein kolossales Gedächtnis“.
Die Erfolge bei Luise Mühlbach begannen bald die des ernsteren Autors Mundt zu überflügeln, doch blieb sie ihm gegenüber immer die Lernende!
Daß sie sich aber „Frau Professor“ nennen ließ, ist eine sowohl gewagte wie auch gegen ihr Leben gerichtete Behauptung. (Mundt wurde erst 1848 a.o. Professor.)
Sie war von Anbeginn und immer „die Mühlenbach“, von der Adolf Glasbrenner sagte:“ Sie hat ihrem Volke die Geschichte ans Herz gelegt.
Bedarf es eines besseren Fürsprechers?
Schleiermacher, der bekannte Arzt, hatte ihr das Schachspiel beigebracht, und sie hat es später mit General Pfuhl, dem Ministerpräsidenten von 1848, oft gespielt.
Dem Grafen Lehndorf verdankte sie ihre Reise nach Ägypten 1870 auf Einladung des Khedive.
Mit Ida Hahn-Hahn, einer Schriftstellerin aus der großen Sippe der „Hähne“ um Basedow, hatte sie sich gemeinsam gelobt, berühmt zu werden.
So erlebten in jener Zeit ihre Romane über Friedrich den Großen, Napoleon I., Joseph II. bald acht bis zehn Auflagen. Außerdem schrieb sie Reiseberichte für die großen Zeitungen wie den „Herald“.
Es war durchaus achtungsvoll gemeint, wenn ihr Mann von ihr als von einem „Talentungeheuer“ sprach und sie immer wieder ermunterte.
Woher kam aber der Vorname „Luise“? Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von der Königin, sondern wohl vielmehr aus der Liebe und Erinnerung an jene unglückliche Spielgefährtin Luise, die als Mecklenburgische Prinzessin wegen einer verbotenen Liebe zu einem Kammerherrn des Großherzogs nach Neapel ging und dann scheinbar verschollen blieb.
Zu ihrem großen Freundeskreis zählten neben Adolf Glasbrenner auch Gutzkow, Fürst Pückler-Muskau, Pietsch, selbst Marx, aber auch Fanny Lewald, der Prinz Georg von Preußen wie auch der Herzog Ernst von Coburg und Gotha. Bühnengrößen wie F. Haase, Devrient, Döring, die schöne Sarolta verkehrten bei ihr.
Heinrich Heine dagegen spöttelte über sie:“  - - Luischen Mühlbach sitzt und strickt am weltgeschichtlichen Strumpfe“, wie uns Robert König in seiner „Literaturgeschichte“ berichtet.
Nach dem frühen Tode ihres Mannes schrieb sie auf Bitten des „Herald“ einige Biographien; denn, so sagte dessen Vertreter:“ -  -  - es sind lauter alte Leute, sie können bald sterben, und der „Herald“ wird dann sogleich die Biographien von Ihrer Feder haben.“
Es waren die Lebensbeschreibungen von Bismarck, Moltke, Kaiser Wilhelm I. und Pius X.
Sie sind dann alle lange nach Luise Mühlbach dahingegangen. In ihrem Leben verfaßte sie fast 300 Romane und Lebensbeschreibungen. Welch ein Fleiß, welche Kenntnisse!
Am 26. September 1873 starb sie an den Folgen einer Kur in Marienbad.
Messen wir nicht allzuoft mit unseren heutigen Maßen und begreifen unsere Vorfahren zu wenig als Kinder ihrer Zeit, die doch oft über ihre Zeit hinausreichten?
Luise Mühlbach vereinigte ein Gemüt voller Güte mit Energie und Schaffenskraft. Ihr wurde manches Leid, viele Anfeindungen, aber auch viel Anerkennung, großes Glück und wahre Freundschaft zuteil. Lassen wir sie noch einmal zu Wort kommen:
Ich lege nun auch mein Bekenntnis ab und sage - ich bin eine Mecklenburgerin.
Aber ich sage nicht wie ein katholischer Priester, das sei eine Schande. Im Gegenteil, ich liebe mein kleines Vaterland, und wenn ich die Laute der plattdeutschen Sprache höre, geht mir das Herz auf in Jugendlust und Freude, und ich kümmere mich gar nicht darum, daß bei uns noch der Feudalismus herrscht und daß man bei uns in Mecklenburg die Beglückung der constitutionellen Regierung noch nicht recht anerkennen will.

Ihrer Tochter Thea Ebersberger haben wir es zu danken, daß wir vom Leben der „Luise Mühlbach“ in Penzlin mehr wissen, schrieb sie doch die „Erinnerungsblätter aus dem Leben der Luise Mühlbach“.
Wir Heutigen können von ihrer Mutter manches erfahren über die „Vorderstadt Neu-Brandenburg“ und das kleine Handwerker- und Ackerbürgerstädtchen Penzlin, das noch heute mit Mühen versucht, „aus dem Schatten“ zu weichen, dem Druck des großen Nachbarn standzuhalten, eigenständig zu bleiben, das aber in seiner unverwechselbaren, wunderschönen Lage den Besuchern Erholung und Entspannung und in seinen alten Gemäuern Zeit zum Nachdenken bietet.
So soll zum Schluß ein Gedicht ihres Mannes, des Literatur-Professors Theodor Mundt, Hoffnung und Zuversicht ebenso geben wie die Anregung an uns, die Wurzeln nicht zu vergessen, aus denen wir kommen.

Die Zeit

Der Augenblick ist launisch und verhöhnend,
Nach Willkür Dich bestimmend und verletzend.
Die Zeit im Ganzen ist gerecht, versöhnend,
Ausgleichend, göttlich waltend und ersetzend.
Der Augenblick gehört dem Menschen eigen,
Und seinem ungewissen Drang nach Thaten,
Doch in der Zeit im Ganzen wird sich zeigen,
Dir Gottes Geist, wie alles er berathen.
Drum sei auf’s Ganze hoffnungsvoll gerichtet,
Wenn Dich die Angst des Einzelnen erschüttert;
In Gottes Geist ist schon der Streit geschlichtet,
Selbst wenn er noch in Deinem Busen zittert.
“*

*General Wilhelm Knochenhauer (1878 - 1939), Schwager des Herzoglichen Oberforstmeisters Wilhelm Knochenhauer (1838 - 1915), rettete 1936 die Gebeine des Dichters Hermann Löns vor der SA und ließ sie unter militärischem Geleit im Tietlinger Hain bei Walsrode zur letzten Ruhe betten. Er war ein direkter Nachfahre der Friederike Müller (1816 - 1875), der Schwester unserer „Luise Mühlbach“.

Werke (Auswahl)

-          Erste und letzte Liebe, Roman , 1838;

-          Frauenschicksal 2 Bde. 1839;

-          Zugvögel, Novellen, 1840;

-          Ein Roman in Berlin, 3 Bde. 1846;

-          Der Zögling der Gesellschaft, 2 Bde. Roman, 1850;

-          Friedrich der Große und sein Hof, 3 Bde. 1853;

-          Königin Hortense, 2 Bde. 1856;

-          Kaiser Joseph der Zweite und sein Hof, Roman; 1857;

-          Napoleon in Deutschland, 16 Bde. 1859;

-          Erzherzog Johann und seine Zeit, 12 Bde. 1863;

-          Deutschland in Sturm und Drang, Roman, 17 Bde. 1868;

-          Mohamed Ali und sein Haus, Roman,1871;

-          Reisebriefe aus Ägypten, 2 Bde. 1871;

-          Protestantische Jesuiten, Roman, 6 Bde. 1874;

-          Erinnerungsblätter aus dem Leben Louise Mühlbachs, 1902;

                                                                                                           Dr. Wolfgang Köpp


 

 
 

Revolutschon in Mäkelbörg – oder: die Gräfin Rossi muß fort!“

„Freut Euch, Ihr Mecklenburger“, schrieb ein Dr. Blohm im Rostocker Anzeiger Nr. 49 im Jahre 1848, angesichts der Erfolge der „Revolutschon in Mäkelbörg“.

Und im vergangenen Jahr lasen wir, eingedenk der 150 Jahre dieses bedeutenden Ereignisses, aus den unterschiedlichsten Federn stammende, teils heroisierende, manchmal ideologisch aufgeblähte, aber auch sehr fundierte, an den Quellen orientierte Berichte jener denkwürdigen Zeit.

Leider hörten und lasen wir zu wenig davon, was der traurigen Wirklichkeit eher entsprach, nämlich von den unterschiedlichsten Merkwürdigkeiten und Schnurren, auch längst vergessenen Begebenheiten, die dieses, andernorts so folgenreiche Jahr hier, im Mecklenburgischen und besonders in dem Strelitzer Ländchen - in „Dörchläuchtings Reich“ auszeichneten.

Vom „Redenblödsinn in Reformvereinen“ (wie in Reuters Stromtid) über das „Verlangen der Tagelöhner zu Broda“ bis hin zur „Rauchfreiheit auf den Strelitzer Straßen“ (welche die vermeintlich einzige März-Errungenschaft gewesen sein soll), zeichnete sich das winzige Ländchen schon aus.

Winziges Ländchen, wird mancher empört aufmuckern: ja doch. Ich will ein Beispiel geben und mich dabei nicht der bekannten Kutschenepisode mit den geborgten Pferden wie bei „Fritzing Reuter“ bedienen.

Als nämlich ein fremder Gast sich im Strelitzer Hoftheater in Gegenwart des Fürsten ungebührlich benommen hatte, wurde er aufgefordert, umgehend das Land zu verlassen. Und er erwiderte darauf herablassend, er werde innerhalb einer halben Stunde außer Landes sein!

Und so liest sich dann ein Augenzeugenbericht der Luise Mühlbach über die Strelitzer Revolution:

„ Das Jahr 1848 mit seinen Aufregungen und seinen neuen Ideen klopfte an die Pforten des Fürstenschlosses. Der Fürst hatte gemeint, wenn es überall auch tobe und wüthe, bei ihm könne es keine Rebellion geben. Doch das Jahr 1848 sprach von anderen Dingen als von Unterthänigkeit und Gehorsam und raste auch mit seinem Sturme durch die sonst so stillen Städte und Dörfer des kleinen herzoglichen Landes dahin. Ich glaube, meine guten Landsleute schämten sich, daß sie allein sollten still und ruhig bleiben, während es um sie aller Orten tobte, sie standen auf und machten auch Revolution.

Auf einmal wimmerten die Glocken und eine schwarze Sturmfluth wälzte sich dem Jagdschloß zu. Da standen sie, dichtgedrängt die rufenden, brüllenden Schaaren der Menschen. Zum ersten Male hörte der Fürst den hallenden Schritt der neuen Zeit. Drunten schrie und heulte die Menge und hob drohend die Fäuste empor.

‚Was wollt ihr, was begehrt ihr von mir‘, fragte der Fürst die tobende Menge.

Niemand antwortete anfangs. Sie waren herangestürmt in dem dunklen Gefühl, daß sie das Ihre tun müßten im Dienste der neuen Zeit.

Der Herzog fragte erneut, während sich die Hofschranzen in die Tiefe des Raumes verzogen.

Da ertönten nun laute Stimmen:‘ Die Gräfin Rossi soll fort‘, dann andere:‘ Wir wollen freies Krebsen haben!‘ Das letzte Wort wurde mit Jubel empfangen und laut genug von hundert Kehlen tönte es nun:‘ Die Gräfin Rossi soll fort und wir wollen freies Krebsen haben‘.

So verließ die Gräfin Rossi mit ihrem Gemahl noch am selben Abend die Residenz, in der sie ‚ zur Freude des Herzogs, häufig  im Theater gesungen hatte.“
Die Rauchfreiheit auf ihren Straßen hatten sie nun, die revolutionären Strelitzer, und das freie Krebsen auch, aber was hatte es mit dem Fortgang der Gräfin Rossi auf sich? Wer war sie, daß sie Ursache solchen Sturms werden konnte?
Gräfin Rossi wurde als Henriette, Gertrude, Walpurgis Sontag am 3. Januar 1803 in Koblenz als Tochter eines Sängers und einer Schauspielerin geboren.
Nachdem sie schon in Kinderrollen Theater gespielt hatte, studierte sie in Prag Gesang und Klavier und debütierte 1821 als Prinzessin von Navarra in der Boieldieu-Oper „Jean de Paris“.
1822 kam sie nach Wien, wo sie am 25.10.1823 Webers „Euryanthe“ kreierte und bald darauf die Sopran-Soli der „Neunten Sinfonie“ und der „Missa Solemnis“ sang.
Beethoven interessierte sich sehr für die junge Sängerin und arbeitete mit ihr.
Rossini äußerte sich begeistert über ihre Leistungen in seinen Opern.
1824 wurde die Sängerin nach Berlin berufen, wo ihr Ruhm mit der Vollendung ihrer Kunst wuchs.
Bald darauf sang sie in Paris die „Rosina“ sowie Mozarts „Donna Anna“ und Rossinis „Cenerentola“.
Ihre Koloraturen  wurden für vollendeter erklärt als die der damals berühmten Catalani.
Sie trat in Weimar auf und begeisterte Goethe, der, tief beeindruckt von ihrer Persönlichkeit als Künstlerin, sie in einem Gedicht pries.
Ihr Wiederauftreten in Berlin löste jene Begeisterungspsychose aus, die als „Sontagsfieber“ in die Operngeschichte eingegangen ist.
Im Hofopernhause sang sie neben der ‚Donna Anna‘ die ‚Agathe‘, ‚Euryanthe‘, ‚Susanna‘ ,‘Tancred‘, ‚Desdemona‘. Man rühmte namentlich auch ihre große, echte und edle Kraft der Darstellung als unübertrefflich und eine vollendete Meisterschaft des Vortrages und der Ausführung.
Es war wahrhaft ergreifend und rührend, welch herzliches Lebewohl die Berliner
Lieblinge weihten, „Sie war das holdeste, liebenswürdigste, einfachste deutsche Mädchen, von mittlerer Größe, dem zierlichsten Wuchse, mit einem runden lachenden Gesichtchen, blauen, sanften, lebhaften Augen, blondem Haar und gewinnendstem Wesen, stets heiter, voll Laune und Muthwillen, aber von den Grazien umweht in jeder Bewegung; dabei mit dem besten Herzen begabt, stets zu helfen bereit, immer wohlthätig, freundlich, zuvorkommend und liebreich. – Mit dieser bezaubernden Persönlichkeit einte sich eine glockenhelle, klare, liebliche, weiche und umfangreiche Stimme und eine sehr gründliche musikalische Bildung, unermüdlicher Fleiß und energisches Streben. – so erlebte sie Ehren, wie sie vor und nach ihr keiner andern Künstlerin zu theil wurden.“

Auf dem Wege nach Paris, ihrer nächsten Wirkungsstätte, war sie wieder bei Goethe, der für sie die Hexameter seiner „Neuen Sirene“ schrieb.

Die neue Sirene

Habt von Sirenen gehört?  Melpomenens Töchter, sie prunkten
Zöpfumflochtenen Haupts, heiter entzückten Gesichts;
Vögel jedoch von der Mitte hinab, die gefährlichsten Buhlen,
Denen vom küßlichen Mund floß ein verführendes Lied.
Eine geschwisterte nun, zum Gürtel ab griechische Schönheit,
Sittig hinab zum Fuß nordisch umhüllt sie das Knie:Knie:
Auch sie redet und singt zum ost- und westlichen Schiffer;
Seinen bezauberten Sinn Helena läßt ihn nicht los.


Bald führte Wilhelm v. Humboldt sie in die Gesellschaft ein. Das war für die Sängerin ein elementares Ereignis, galten Künstler damals doch allgemein als nicht hinreichend gesellschaftsfähig.
Als sie 1830 aus England nach Berlin zurückkehrte, gab sie ihre schon einige Zeit zurückliegende Heirat mit dem sardinischen Diplomaten Carlo Graf Rossi bekannt.
Friedrich Wilhelm III. erhob sie nun - nicht ohne besondere Absicht - in den erblichen Adelsstand, doch mußte sie auf Weisung des sardinischen Königs Karl Albert die Laufbahn als Opernsängerin aufgeben, sang jedoch weiter in Konzerten.
Die einstige Primadonna sah sich immer wieder gefeiert und verkehrte mit den bedeutendsten Geistern der Kunst und Wissenschaft.
Als ihr Mann 1849  demissionieren mußte, kehrte die Sängerin (an „Her Majesty’s Theatre“ in London) zur Bühne zurück und wurde dort – wie auch in Paris - gefeiert.
Am 17. Juni 1854 starb sie auf einer Konzerttournee durch Nord- und Mittelamerika in Mexiko.
Henriette Sontag bildete in ihrer Art in Stimme und Stil ein gesangliches Phänomen, das besonders von Berlioz erkannt wurde, der in ihrer makellosen, über zweieinhalb Oktaven reichenden Stimme eine unwiederholbare Vollkommenheit zu erleben glaubte. Ihr reiches Repertoire gruppierte sich um die großen Koloraturrollen Rossinis, der sie wie wenige Primadonnen schätzte.
Dazu kamen Donizettis „Lucia“, die „Norina“ (Don Pasquale), die „Regimentstochter“ sowie Bellinis „Somnambula“.
Was aber hatte diese großartige Sängerin, diese überall gefeierte Einmaligkeit der Opernbühne und des Konzertsaals mit der verschlafenen Idylle einer mecklenburgischen Residenz und dem dort auflodernden Volkszorn zu tun?
Ein volles Jahrzehnt, von 1844 bis zum Tode der in ganz Europa gefeierten und bewunderten Sängerin

im Jahre 1854, verband den Großherzog Georg und die Sängerin eine herzliche Freundschaft.

Die Besuche in Neustrelitz führten an dem damals weit über die Landesgrenzen bekannten und der königlichen Bühne in Berlin durchaus nicht nachstehenden Theater (erwähnt seien die Auftritte so bekannter wie namhafter Künstlerinnen wie der Tragödin Julie Rettich in „Faust“, „Iphigenie“ und in der „Braut von Messina“ oder der Schauspielerin Caroline Jagemann, die zugleich mit Henriette Sontag gastierte und in Bellinis „Norma“ Erfolge feierte) zu glanzvollen Auftritten.

Allerdings mußten die meisten Darbietungen der Gräfin mit Rücksicht  auf den Status ihres Gatten nur vor einem kleinen geladenen Kreis unter strenger Geheimhaltung stattfinden.


Karl Kraepelin, den die Künstlerin Bertha Unzelmann nach Leipzig holen wollte, um ihm dort bessere Möglichkeiten zu bieten, wurde vom Neustrelitzer Intendanten v. Dachroeden in seinen Ferien aufgefordert, nach Neustrelitz zurückzukehren, „da Henriette Sontag einige Partien aus ihren Glanzopern singen wolle und dazu seine, Kraepelins, Anwesenheit und Mitwirkung erforderlich sei“.
Kraepelin hätte nicht ein dankbarer und zugleich begeisterter Künstler sein müssen, wollte er auch nur einen Augenblick zögern. Wie konnte er auch ahnen, daß damit sein Wirken allzu rasch ein Ende finden sollte, galt doch das Hoftheater den Bewohnern der Residenz als ein überflüssiger und verwerflicher Luxus, den mitzuunterhalten, sie nun nicht mehr gewillt waren.
Das hatte später auch sein Gutes, machte sich doch der nun arbeitslose Hofschauspieler Karl Kraepelin mit dem Vortrag Reuter’scher Verse bald einen Namen und trug so Reuters Schaffen durch ganz Norddeutschland. (Erinnert sei an Reuters begeisterten Ausruf  im Alt-Rehser Pfarrhaus:“ Korl, dit hew  ick gor nich schrewen.“)
Für die Sängerin waren die Besuche in Neustrelitz eine stete Quelle der Erholung und Freude, für den Hof sicherlich schönste Festtage.
Auch in ihren Ferien war sie häufig in Neustrelitz und Hohenzieritz als Gast des Herzogs Georg, um besonders im Hohenzieritzer Park (und auch das ist historisch überliefert), mit den Nachtigallen um die Wette zu singen.
Ihr Logis war dann das damalige Prinz-Ernst-Palais in der Schloßstraße.
Goethe nannte sie „eine Nachtigall, die umherflattert.“
Karl von Holtei, den kundigen Neustrelitzern kein Unbekannter, hat Henriette Sontag so beschrieben:
Ich habe schönere (!) Frauen gesehen, größere Schauspielerinnen, habe gewaltigere Stimmen gehört, vielleicht auch höhere Virtuosität des Gesanges, aber einen so innigen Verein von Anmut, Reiz, Wohllaut des Organs, der Darstellungsgabe wußte ich nirgends und nie bewundert zu haben.“
Ich glaube, das hat Holtei nicht allein so begeistert betont, denn als er, ein junger Gymnasiast von 14 Jahren, der schönen Frau einst am Ufer des vereisten Zierker Sees zum Neid der Gardeoffiziere und anderer Galane immer wieder mal die Schlittschuhe anschnallen durfte, dabei vor der wunderbar zarten Gestalt mit den seelenvollen Augen knien durfte, war das wohl das unvergeßlichste Jugenderlebnis des Schülers.
Den Neustrelitzern jedoch schien sie der Ursprung der finanziellen Lage ihres Theaters zu sein, stieg doch vom Spieljahr 1838/39 das Defizit von 957 Rth.( Reichstaler) auf 3160 Rth. 1841. Und obwohl aus der großherzoglichen Rentei ab 1843 jährlich 13 000 Rth. zuflossen, blieb am Ende jeder Saison ein immer größeres Defizit. 1846/47 war die Unterbilanz schließlich auf 3312 Rth. gestiegen.
(Was verursachen demgegenüber unsere heutigen Bühnen für gewaltige Unterhaltskosten!)
Gleichzeitig war die Staatsschuld auf eineinhalb Mill. Taler angewachsen. Die Hauptsteuerlast hatten dabei die Städter zu tragen, da die Güter überwiegend steuerfrei waren.
Es wird wohl die Frage ewig offen bleiben, ob die revoltierenden Bürger 1848 den Herzog zwangen, das Theater aufzulösen, oder ob der alternde Großherzog, nun, da Henriette Sontag nicht mehr sang, seine Freude an diesem bekannten Musentempel verloren hatte und von sich aus das Theater schloß.
 Als sie starb, da widmete ein Dichter ihr die folgenden Verse:

Eine Rose, welche singt  Nachtigallentöne,
eine Nachtigall, umringt mit der Rosen Schöne.
Schwebt mir doch kein Name vor, der dem Wunder tauge,
Nachtigall nennt sie das Ohr, Rose sie das Auge
.“


Vielleicht denkt der Eine oder andere, der im Frühsommer nächtens durch den Hohenzieritzer Schloßpark wandert und dem Gesang der Nachtigallen lauscht, an die Geschichte der Henriette Sontag, die als ein unschuldiges Opfer der Neustrelitzer „Revolutschon“ den braven Bürgern unbewußt zum „freien Krebsen“ verholfen hat.



Dr. Wolfgang Köpp
Haus München 38
D-17217 Alt-Rehse


Literatur kann beim Verfasser erfragt werden.

 

 
 

Dragonersch“ – Trine Schalubben.

(Zur Erinnerung für die Nachkommenden)

Man schrieb das Jahr 1816.

Auch im vielfach geschundenen und geplünderten Mecklenburg, das unter der Franzosenzeit in besonderem Maße gelitten hatte, wofür noch heute zahlreiche Berichte und literarische Denkmale zeugen, begannen allmählich die Kriegs- und Brandschatzungswunden, die schlimmen Folgen von Mord und Totschlag, Plünderungen, Vergewaltigungen und anderen Greuel zu verheilen.
Diese Franzosenzeit hatte im Volk ihre tiefen, unauslöschlichen Spuren hinterlassen.
Die Dörfer waren ausgeplündert und verarmt, von ihren einstigen Bewohnern teils verlassen, teils nicht mehr bewohnbar und Tausende, die geflohen, waren nicht mehr zurückgekehrt.
Viele hatten auf beiden kriegführenden Seiten, oft gegeneinander, gekämpft.
Die einen, brutal ins französische Heer gepreßt, mußten gegen das eigene Volk und dessen Verbündete ziehen, die anderen wagten freiwillig auf Seiten der gegen Napoleon Verbündeten, in der Freischar bei Schill oder im neugegründeten Landsturm ihr Leben gegen die maßlose Unterdrückung und Unterjochung.
Allmählich waren diejenigen, die aus der kleinen Stadt Penzlin und den umliegenden Gutsdörfern für die Freiheit vom napoleonischen Joch mannhaft gestritten und überlebt hatten, in ihre Heimat zurückgekehrt.
Nun wurde ihnen eine späte Ehrung zuteil.
Der Erblandmarschall Ferdinand v. Maltzahn ließ ihre Namen auf einer Holztafel verewigen, die an einem Pfeiler der Kirche St. Marien zu Penzlin angebracht, an ihren tapferen Einsatz für ihr Vaterland erinnern sollte. 1813 hatte der Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg –Schwerin den Verteidigern des Vaterlandes gegen die napoleonische Fremdherrschaft die volle persönliche Freiheit versprochen und dieses Versprechen auch auf seinem Domanium eingelöst.
Hatte man sie alle genannt, die für ihr Vaterland eingetreten, mit ihrem Blut und Leben dafür gestritten hatten? Galten nur die kämpfenden Männer etwas?
Zu dieser Zeit fand ein weiteres, für die Umgebung und, wie sich bald zeigen sollte, auch für das Land bedeutsames historisches Ereignis statt.
Am 18. Oktober 1816 ließ derselbe Ferdinand v. Maltzahn durch den damaligen Pastor Eberhard von der Kanzel der Marienkirche herab die Aufhebung der Leibeigenschaft auf allen seinen umliegenden Gütern verkünden.
Er löste damit ein Versprechen ein, das er seinen Landarbeitern gegeben hatte, weil sie seinem Aufruf gefolgt und sich ohne zu zögern, eingereiht hatten in die neu gegründeten Landsturmregimenter, um gegen die verhaßten Unterdrücker ins Feld zu ziehen.
So war es angesichts dieser, für den armen ländlichen Raum aufsehenerregenden Ereignisse und in den Wirren der Nachkriegszeit kein Wunder, daß die Heimkehr einer Frau in die kleine Stadt kaum bemerkt wurde.
Hochgewachsen, mit der Statur eines Mannes, wurde sie anfangs kaum beachtet.
Sie wirkte „wie ein Rohr, ohne Blüte und Blatt, wie dieses dürr und farblos“.
Kein Chronist berichtete über sie.
Auf der Ruhmestafel in der Kirche suchte man ihren Namen vergeblich.
Dennoch mußte sie jedermann auffallen.
Ein armseliger Kattunrock umschlotterte wochentags wie sonntags die hagere, früh verblaßte und rasch gealterte, knochige Gestalt.
An diesem Kattunrock war stets das „Eiserne Kreuz“ angeheftet.
Wer war diese Frau?
Älteren Bürgern der Stadt war sie noch in dunkler Erinnerung.
Die Jüngeren, besonders die Kinder, trieben wohl anfangs mit der sonderlichen Gestalt ihre Späße und liefen auch manchmal wie „marschierend“ hinter ihr her, ehe ihnen die Älteren, teils aus Furcht, teils aus einem unerklärlichen Gefühl respektvoller Achtung, weiteren Spott und jede Belästigung der einsamen Frau untersagten.
Bald hieß sie die „Dragonersch“, ein Name, in dem mehr mitschwang als hilfloser Spott oder ungewisse Zeichnung der seltsamen Person.
Mit den Jahren galt sie mehr und mehr in der kleinen, beschränkten, von früheren, wohl noch erinnerlichen Hexenprozessen gebrandmarkten Ackerbürgerstadt für eine „Hexe“.
„Die gelbe Haut hing um sie wie ein schmutziges Hemd“, hieß es von ihr, die mit weitausholenden Schritten und aufrechter, fast majestätischer Haltung ohne sich groß um die anderen zu bekümmern, durch die einzige wirkliche Straße der Stadt oder die winzigen, oft kotigen Nebengassen ging.
Es war die Trine Schalubben.
Ihre große knochige Gestalt hatte ihr wohl geholfen, ohne besonders aufzufallen, mit in die Feldzüge gegen Napoleon zu ziehen.
Sie hatte ihren Mann, den sie so leidenschaftlich liebte, daß sie sich nicht von ihm zu trennen vermochte, nicht allein in den Kampf gehen lassen wollen.
Und so hatte sie in den langandauernden mörderischen Kriegszügen Seite an Seite mit ihm gefochten und alle Strapazen überstanden.
Allein war sie zurückgekehrt, doch ließ sie sich, obwohl ihr der Großherzog eine kleine Pension fürs Leben ausgesetzt hatte, dazu herab, den Penzliner Einwohnern gelegentlich Strümpfe zu stricken.
Sie tat aber stets, als wäre das eine Gnade und nahm die paar Schillinge Lohn, welche man ihr fürs Stricken gab, geradezu  wie „aus Erbarmen“ an.
Sie sprach kaum mit den Leuten; als aber mal ein Unverschämter sie dreist aufforderte, ihm von „ihren Heldentaten“ aus den Befreiungskriegen zu erzählen, da hatte er von ihr eine Ohrfeige wie einen Säbelhieb bekommen, so daß der aufdringliche Kerl zum Gelächter des ganzen Städtchens mehrere Tage mit geschwollenem Gesicht herumlief.
Nie erzählte sie von ihren Kriegserlebnissen.
Andere aber berichteten, daß sie sehr tapfer gewesen sei und den Leichnam ihres in der Schlacht gefallenen Eheliebsten mit ihrem Säbel vor den andrängenden Feinden beschützt habe.
Ein wenig Vertrauen hatte sie nur zum Doktor Pfuhl, einer anderen, damals stadtbekannten und hochgeachteten Persönlichkeit, der sie auch stets in Schutz nahm.
Wenn der mit ihr sprach, so heißt es, oder wohl auch mal ein bißchen mit ihr in aller Ehrerbietung schäkerte, dann soll manchmal wohl der ferne Abglanz eines Lächelns um ihre schmalen, fast blutlosen Lippen geschimmert haben.
Kein Penzliner Chronist hat nach ihr geforscht, keiner über sie geschrieben, auf keiner Ehrentafel steht ihr Name – und dennoch scheint es wert zu sein, daß man sich ihrer erinnert.
Wohl lebt in der noch immer kleinen, beengten und hier und da auch beschränkten Stadt schwach die Erinnerung an eine andere Teilnehmerin aus der „Franzosenzeit“, doch zog die damals, gemeinsam mit den geschlagenen Erobern flüchtend, westwärts. Die war freiwillig, ohne Druck ins fremde Heer gegangen. Über die hat man sogar geschrieben.
War die Trine Schalubben nicht wenigstens Gleiches wert?
Allenthalben begegnet man in der Stadt und den umliegenden Dörfern noch Namen, die sehr viel Gemeinsamkeit mit dem Namen der Vergessenen aufweisen: Scherlipp ist einer davon. Aber auch Scharlibbe und Scharlibb gab es in Penzlin, so wie Scherlibb.
Am 3. Februar 1847 stirbt in Penzlin Katharina Maria Scharlibbe, geb. Jüngling und wird dort auf dem Friedhof am 5. Februar 1847 begraben.
Sie war die Witwe des Schustermeisters Johann Heinrich Scharlibbe. 72 Jahre, 1Monat und 25 Tage alt, starb sie an Altersschwäche, war also 1775 geboren.
Ihr Vater war der Schustermeister Jakob Friedrich Jüngling, ihre Mutter Maria Elisabeth geb. Paegelow. War sie die Trine Schalubben?
Mehrere Familien Scharlibbe kommen in den Registern der Penzliner Kirchenbücher vor, die, obwohl erst 1831 angelegt, auch Angaben älterer Zeit enthalten.
E. Danneil hat in seiner „Chronik der Burg und Stadt Penzlin von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1874“ nichts von der Trine Schalubben erwähnt. Sie war ihm wohl nicht wichtig genug, oder er wußte nichts von ihr.
In einer Zeit, wo wir im überschnellen Drange nach Europa zu vergessen scheinen, wo unsere Wurzeln liegen, wo der Jugend kaum noch die Geschichte ihrer Heimat nahegebracht, ein gesunder Patriotismus ängstlich und unwissend mit Nationalismus verwechselt wird und so mehr und mehr die Identität wie die Liebe zur Heimat verloren gehen, müssen wir Sorge tragen, daß nicht alles im Strudel einer rasanten Wegwerfbewegung verloren geht. Wer heute ohne das Gestern lebt, wird kaum ein wirkliches Morgen haben.
Auch deshalb muß an Trine Schalubben erinnert werden, die aus übergroßer Liebe zu ihrem Mann und für ihre Heimat in die Schlachten hinauszog und als „Dragonersch“ zurückkehrte.

Dr. Wolfgang Köpp


 
 
 

Marie Moretto geb. Lenz

Über eine weitere Frau aus Penzlin soll berichtet werden.
Auf dem Schlachtfeld zu Leipzig gebar eine Marie Moretto ihr zweites Kind.
Sie war die Tochter eines Penzliner Schuhmachermeisters namens Lenz und hat den ruhmlos endenden Feldzug Napoleons gegen Rußland in den Reihen der französischen Truppen mitgemacht.
Sie lernte in Prenzlau 1812 einen im französischen Heer dienenden französischen Jäger italienischer Abstammung  namens Moretto kennen und zog gegen den Wunsch ihrer Eltern gemeinsam mit ihm in Männeruniform in den napoleonischen Krieg gegen Rußland.
Bei einer Truppenübung übergab ihr Napoleon sein Pferd zum Halten. Als es scheute, schrie sie auf und wurde daran als Frau erkannt. Fortan nahm sie die rolle als Marketenderin an. Sie heiratete Moretto, gebar ihr erstes Kind unter dem Geschützdonner bei Smolensk, machte die Belagerung von Moskau mit und überstand, ihr Kind unter dem Mantel bergend, auch den Rückzug mit dem grauenvollen Übergang über die Beresina recht gut.
Verwandte in Penzlin nahmen sie nach dem Krieg auf. Sie blieb aber bei ihrem Mann, der als Gärtner eine feste Anstellung fand und 1839 starb. Sie selbst, von ihrer Gutsherrschaft aufs freigebigste unterstützt, lebte bei ihren Kindern.
Im Alter von 88 Jahren starb sie 1876 in Schwastorf als Gärtnerswitwe und hinterließ fünf wohlgeratene Kinder.
Auf Grund ihrer dauernden Bindung an Moretto hat Marie Moretto niemals den Sinn der Befreiungskriege erfaßt, auch nie einsehen wollen, daß sie gegen ihr Vaterland handelte.
So groß war ihr Unwissen über die politischen Konstellationen ihrer Zeit, daß sie sich 1863 anläßlich von Feiern der Völkerschlacht von Leipzig ehren lassen wollte.
Als es sich dabei herausstellte, daß sie ihre Taten in französischen diensten vollbracht hatte, wurde sie vom vorsitzenden des Festausschusses des Saales verwiesen und hat wohl auch das nicht verstanden.
Dennoch soll auch an sie erinnert werden.

Wolfgang Köpp


Literatur:
G. Klitzing in: FE v. 21.10.1983:
Prof. M. Sander in: Anklamer Heimatkalender.